Das Buch von Der Pilgerschaft

Rainer Maria Rilke

Dich wundert nicht des Sturmes Wucht

du hast ihn wachsen sehn;—

die Bäume flüchten. Ihre Flucht

schafft schreitende Alleen.

Da weißt du, der vor dem sie fliehn

ist der, zu dem du gehst,

und deine Sinne singen ihn,

wenn du am Fenster stehst.

Des Sommers Wochen standen still,

es stieg der Bäume Blut;

jetzt fühlst du, daß es fallen will

in den der Alles tut.

Du glaubtest schon erkannt die Kraft,

als du die Frucht erfaßt,

jetzt wird sie wieder rätselhaft,

und du bist wieder Gast.

Der Sommer war so wie dein Haus,

drin weißt du alles stehn—

jetzt mußt du in dein Herz hinaus

wie in die Ebene gehen.

Die große Einsamkeit beginnt,

die Tage werden taub,

aus deinen Sinnen nimmt der Wind

die Welt wie Welkes Laub.

Durch ihre leeren Zweige sieht

der Himmel, den du hast;

sei Erde jetzt und Abendlied

und Land, darauf er paßt.

Demütig wie jetzt wie ein Ding,

zu Wirklichkeit gereift,—

daß Der, von dem die Kunde ging,

dich fühlt, wenn er dich greift.

Ich bete wieder, du Erlauchter,

du hörst mich wieder durch den Wind

weil meine Tiefen niegebrauchter

rauschender Worte mächtig sind.

Ich war zerstreut; an Widersacher

in Stücken war verteilt mein Ich.

O Gott, mich lachten alle Lacher

und alle Tinker tranken mich.

In Höfen hab ich mich gesammelt

aus Abfall und aus altem Glas,

mit halbem Mund dich angestammelt,

dich, Ewiger aus Ebenmaß.

Wie hob ich meine halben Hände

zu dir in namenlosem Flehn,

daß ich die Augen wiederfände,

mit denen ich dich angesehn.

Ich war ein Haus nach einem Brand,

darin nur Mörder manchmal schlafen,

eh ihre hungerigen Strafen

sie weiterjagen in das Land;

ich war wie eine Stadt am Meer,

wenn eine Seuche sie bedrängte,

die sich wie eine Leiche schwer

den Kindern an die Hände hängte.

Ich war mir fremd wie irgendwer,

und wußte nur von ihm, daß er

einst meine junge Mutter kränkte

als sie mich trug,

und daß ihr Herz, das eingeengte,

sehr schmerzhaft an mein Keimen schlug.

Jetzt bin ich wieder aufgebaut

aus allen Stücken meiner Schande,

und sehne mich nach einem Bande,

nach einem einigen Verstande,

der mich wie ein Ding überschaut,—

nach deines Herzens großen Händen—

o kämen sie doch auf mich zu).

Ich zähle mich, mein Gott, und du,

du hast das Recht, mich zu verschwenden.

The Book of Pilgrimage: a fragment

translated by Joshua Weiner and Jay Hopler

The storm’s force comes as no surprise,

 you’ve watched it grow;—

the trees leave. Their flight

 creates striding avenues.

Then you know, the one they flee before

 is the one to whom you go,

it’s Him all your senses sing

 as you stand at the window.

The summer weeks stood still,

 the tree sap on the rise;

now you feel it, its will to fall

 into the Maker of all things.

You thought you knew the power

 once you grasped the fruit,

now, again, it’s a mystery,

 and you, again, a guest.

Like your house, the summer was,

 you knew every inch of it.

Now you must leave, go out into your heart

 as you might a plain.

So begins the great bewilderness,

 the days go numb—

from your senses the wind withdraws,

 the world like withered leaves.

Through bare branches—

 your sky, it sees you there;

so be earth now and evening song

 and the land where you belong,

be humble now, a thing

 made real by its ripening—

that the source of all things

feels what it grabs: you.

God of my nights and days,

 I’m praying again that again

you hear me through the wind

 because from my depths

the words never yet released

 surge forth with power.

I was distracted; then the adversary

 my self was shattered.

O God, everyone laughed at me

 and all the tinkers drank me down.

In the tree-lined streets

 I assembled myself from garbage and old glass;

with half a mouth, I mouthed you,

 Harmonious Eternal.

How I raised my hands

 to you in nameless adjuration

so that I could see again

 with the eyes that once beheld you.

I was a burned-out house,

 a real murderers’ squat

before fear of the gallows

 hounds them to open ground;

I was like a city by the sea,

 ringed by plague,

heavy, a corpse hanging

 on the hands of children.

Like everybody else, I was a stranger

 to myself—who was he, who

hurt my young mother once

 when she carried me in her womb

and her heart, besieged,

 beat painfully against my stirring.

Now I am rebuilt again

 from all the fragments of my shame

and long for a bond, for a binding

 to a single mind

who looks over me as a thing

 for your heart’s great hands to hold—

(oh, if only they would pick me up!)

 I count myself, my God, I calculate—and you,

you have the right to squander me as you will.

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